Interview mit Mo Edoga zum Signalturm der Hoffnung.
Erschienen 1992 zur Documenta IX im „DOCMag“

Mo Edoga ist mit seinem Turm aus Schwemmholz zu einem Wahrzeichen der documenta 9 geworden. Im permanenten Austausch mit seinem Publikum verbringt der gebürtige Nigerianer 15 Stunden am Tag bei seinem immer weiter wachsenden Kunstwerk. Über seinen "Signalturm der Hoffnung" und die Aufgaben von Kunst und Künstlern sprach mit ihm Birgitt Rambalski.

DOCMag: Sie arbeiten mit einem Faden statt mit Nägeln und Schrauben.
Warum?

Edoga: Der Ariadnefaden ist das sinnvollste, was das Abendland jemals hervorgebracht hat – nach der Elektrizität. Ich will, dass die heranwachsende Generation und die angehende Künstlerschaft sich ganz ernsthaft damit auseinandersetzen. Mit diesem Ariadnefaden können wir der Industriegesellschaft eine zweite Natur geben. Nur mit ihm kann man z.B. die Alltagsikonen auch der 3. Welt so naturalisieren, sie domestizieren, dass sie ein Augenschmaus sind wie die Dinge der belebten Natur.

DOCMag: Welche Vorbilder haben Sie, um dieses Bauwerk zu konstruieren?

Edoga: Ich habe über meinen Lehrer Joseph Beuys eine künstlerische Tradition bis zurück zu Leonardo da Vinci. Wir haben immer Weltkunst gemacht. Die tausendjährige Sehnsucht der Kunst ist ja immer die nach der Unendlichkeit als plastisches Ereignis. Und das ist hier zum ersten Mal Wirklichkeit geworden. Mit dem Ariadnefaden eben, weil der Faden das omnipotente Gestaltungsmittel ist wie das Wort das omnipotente Ausdrucksmittel.

DOCMag: Welche Tradition hat diese Arbeitsweise?

Edoga: Sie ist ein Brückenschlag zwischen vormaschineller und Hochtechnologie, die ich in intensiver Forschungsarbeit gefunden habe. Der Akademismus ist immer die Quelle der Subversion. Subversion ist das legitime Anliegen der Kunst. Aber es gibt ja heutzutage keine akademische Ästhetik mehr. So daß es die Künstler sehr schwer haben, eine neue Sehweise in die Welt einzuführen. Subversion heißt ja, eine bestehende Tradition aus dem Sattel zu heben und durch Können eine neue zu etablieren.
Ich habe gesehen, daß herkömmliche Technik das einzige Subversionskonzentrat ist und habe dann die herkömmliche Technik subversiert, indem ich überall, wo Nägel, Schrauben oder Nieten standen, mit dem Faden eine federnde Stabilität hergestellt habe. Das ist eine neue Sehweise, die einmalige Möglichkeit der Unendlichkeit als plastisches Ereignis.

DOCMag: Spüren denn die Betrachter, welche Kraft von Ihrem Signalturm ausgeht? Was beobachten Sie hier?

Edoga: Vor allen Dingen die neue Sehweise. Die Augen sehen ja irgendwas neu, zum ersten Mal, was es noch nie gab. Das kommt von der künstlerischen Technik. Und das ist das Schwierigste, was man in der Kunst machen kann: den Augen etwas neues anzubieten. Oder dem Ohr.

DOCMag: Reagieren die Kinder auf Ihr Werk besonders?

Edoga: Ja. weil Kinder einen ganz soliden Instinkt haben, die waren die ersten, die die Naturstatik festgestellt haben.

DOCMag: Die Kinder erleben, ergreifen, erfühlen Ihr Werk anders als Erwachsene?

Edoga: Ja. Kinder sind hier zum ersten Mal richtig in Kunst integriert. Sie können das Kunstwerk tatsächlich begreifen: mit den Händen, und dann kommt ja erst das Hirn. So war die Entwicklung auch evolutionistisch. Das Freiwerden der Hände hat ja erst einmal die Entwicklung des Hirns ermöglicht.

DOCMag: Glauben Sie, daß dies die Einstellung zur Kunst bei künftigen Generationen beeinflussen wird?

Edoga: Ja, ganz genau. Mit diesem Signalturm der Hoffnung habe ich das Kapitel der Wissensaufklärung als abgehakt dargestellt. Wir haben mit dem Zeitalter der Königsaufklärung angefangen. Künftige Generationen werden das in spätestens zehn, fünfzehn Jahren ganz genau wissen, sich zurückerinnern, was hier geschehen ist. Der berühmte Satz von Descartes "cogito ergo sum" soll jetzt "facio ergo sum" heißen. Nicht "ich denke, darum bin ich", sondern "ich mache" - im Sinne von Können, "darum bin ich". Denn nur mit Können kommen wir zurück zur Natur. Mit Wissen nicht. Vor allen Dingen können wir mit Können dann Material bewältigen, ohne Material zu verletzen.

DOCMag: Das ist eine revolutionäre These.

Edoga: Ganz genau. Das erfordert das höchste Können, das der Mensch hervorbringen kann. Material zu bewältigen, ohne Material zu verletzen. Das Glauben hat Platz gemacht für das Wissen. Und jetzt muß das Wissen Platz machen für das Können. Die heranwachsende Generation wird mit der Könnenschaft zu tun haben und nicht mehr mit der Wissenschaft.

DOCMag: Wird Ihr Signalturm hier stehen bleiben oder werden Sie ihn nach der documenta demontieren müssen?

Edoga: Das ist keine Frage für den Künstler. Dafür gibt es so viele vom intellektuellen Kunstbetrieb, die das regeln können.
Dies ist die Unendlichkeit als plastisches Ereignis. Zukünftige Generationen können das ja weiterbauen. Solange es Zeit, Raum und Material gibt. Und das notwendige Können. Und da kommt nur von Übungskultur. Die ist der Vater des Könnens. Das Können ist der Vater der Idee. Und Kunst kommt von Können.

DOCMag: Welche Dimensionen wird der Hauptturm haben, den Sie jetzt angefangen haben zu bauen?

Edoga: Der wird baumhoch. Den Baum fragt man ja auch nicht, wie hoch er wird. Das kann man nicht metrisch präzisieren. Das ist ein phasenspezifisches Wachstum. Das Werk wächst. Irgendwann höre ich auf. Wenn ich aufhöre, ist das Werk geschlossen. Und es bleibt ergänzungs- und erweiterungsfähig.

DOCMag: Wie kommen Sie an Ihr Material für Ihren Hauptturm?

Edoga: Es kommt aus allen Flüssen Europas. Ich habe Material an vielen Stellen gelagert. das bekomme ich nach Bedarf. Ich werde hier 100 Tage bauen. Dann höre ich auf. Aber wenn ich aufhöre, bleibt das Werk nicht fragmentarisch, sondern es ist geschlossen - aber nicht abgeschlossen. Und das ist ein deutlicher Appell an die Künstlerschaft: Über die Organisation zu gehen statt über die Komposition. Denn Komposition impliziert immer den Drang nach Vollendung.

DOCMag: Sie sind zu einer Art Wahrzeichen der documenta geworden - weil Sie immer hier und auch immer bereit sind, mit allen Leuten zu reden und auf alles einzugehn. Ist das für Sie ein analoger Prozeß zur Entstehung des Kunstwerks?

Edoga: Ich habe ja schon von meiner künstlerischen Tradition gesprochen. Über meinen Lehrer Joseph Beuys. Die Artikulation des zeitgeistes impliziert ja auch, was ich mache. Der Geist kann sich nur durch zwei organe differenziert und subtil bemerkbar machen: durch den Kehlkopf und die Hände. Nur sie sind dazu prädestiniert. Und die werden in der Kunst mächtig eingesetzt. Und das ist es, was ich tue. Ich bleibe in der Tradition. Diese Linie hat schon immer den Zeitgeist artikuliert. Leonardo da Vinci hat sich den mund fusselig geredet, lebenslang, um der Welt die Wissenschaftlichkeit der Malerei beizubringen.

DOCMag: War es für Sie schwierig Jan Hoet Ihr Anliegen zu vermitteln, oder war er von Anfang an überzeugt, daß Sie der Richtige sind?

Edoga: Jan war und ist Feuer und Flamme für das, was ich mache. Ich denke, daß das Bände spricht. Ich bin der einzige Künstler, der so zu Jan kam. Und Jan hat egsagt, jetzt habe ich den Künstler, den ich immer gesucht habe. Diese documenta 9 ist wirklich ein Stoß auf die Goldader- jemand, der das Konzept hat, daß die Künstlerschaft der Welt sagen soll, was Kunst ist. Das ist doch das Konzept von Jan Hoet. Und das ist das Beste. ich bin mit dem Leichentuch nach Kassel gekommen, um die Konzeptkunst zu begraben. Das werde ich zum Schluß auch tun. Weil die Künstlerschaft zurück muß zur Übungskultur. Die ist doch Träger der abendländischen Kunst. Sie ist die zweite Säule der Kultur. Die erste ist die Sprache, die dritte die Technik. Und wenn die Künstlerschaft nicht zurück zur Übungskultur geht, verläßt die Kunst das Abendland und kommt nicht mehr zurück. Und mit Geld kann man sie auch nicht halten. Das hat man nie gekonnt. Die Gesetze der Ästhetik sind streng. Die Strafe ist immer drakonisch. Und Kunst kommt von Können Und das Können kommt einzig und allein von der Übungskultur. Es gibt ja keinen anderen Weg.

DOCMag: Das ist eine heftige Kritik an anderen Künstlern. Die müßten mit Ihnen hier stehen?

Edoga: Stimmt. Ich habe mit der Künstlerschaft ein Hühnchen zu rupfen. Lassen Sie uns damit schließen.

Ariadnefaden:

Der Ariadnefaden ist eine Art "roter Faden", der Theseus aus dem Irrgarten zurückführte. Dies ist jedoch nur die technische Bedeutung. Der Ariadnefaden stammt aus der Hand des bedeutensten minoischen Technikers Daedalos, der sowohl das Labyrinth baute als auch den Zauberfaden spann. Der Ariadnefaden ist aber gleichzeitig eine Liebesgabe, die die besorgte Ariadne ihrem Liebsten gab. So symbolisiert der Faden die esoterische Verbindung von Technik und kosmischer Liebeskraft, die besonders im indischen Tantrismus von zentraler Bedeutung ist.